inner game-Reihe Teil 3: Wie du (Bewegungs-)Freiheit erreichst

Wecker klingelt, Kinder wecken, Frühstück machen, Kinder zur Schule bringen, zur Arbeit fahren, Präsentation schreiben, an Meetings teilnehmen, sich mit Vorgesetzten auseinandersetzen, nach Hause hetzen, Kinder abholen, Kindernachmittagsplanung organisieren, einkaufen, kochen, Haushalt, Yoga-Stunde, Fernsehen, schlafen. So sieht der Alltag vieler Bekannter aus. Immerhin: Vielleicht die eine Zigarette zu einem Kaffee auf dem Balkon – da gönne ich mir mal Zeit für mich und „tue mir was Gutes“. (Deswegen fällt das Aufhören ja so schwer!)

Das übliche Hamsterrad. Wir fühlen uns fremdbestimmt. Wir haben unsere Bewegungsfreiheit verloren. Und wir denken wir sind es auch. Feststehende Umstände scheinen uns keine andere Wahl zu lassen:
„Das Haus will auch bezahlt werden.“ „Das Finanzamt…“ „Der Tag hat eben nur 24 Stunden.“ „Mein Chef ist halt so.“ „Aber ich habe die Kinder ja nun mal.“

Bewegungsfreiheit bedeutet, sich ohne Selbstbeschränkung in eine gewünschte Richtung bewegen zu können. Das erfordert zunächst Bewusstheit. Damit du deinen Arm zielgerichtet bewegen kannst, muss dir erst einmal bewusst sein, dass du ihn überhaupt hast, dass du ihn auf verschiedene Arten bewegen kannst und dass du weißt, wohin du ihn bewegen möchtest.

Bewegungsfreiheit heißt also, sich klar bewusst zu sein, wo du bist, wohin du willst und warum.

Ich selbst fühlte mich als Mutter anfangs sehr stark fremdbestimmt. Jemand anderes diktierte auf einmal mein Leben. Das führte dazu, dass ich häufig schlecht gelaunt und genervt war. Während der Vater des Kindes sein bisheriges Leben weiterlebte, fühlte ich mich unfrei in meinem Tun. Als ich mir dann bewusst machte, dass ich ja die Wahl hätte und mir dadurch klar wurde, dass ich es selbst so wollte, veränderte sich schlagartig mein Gefühl. Ich war wieder selbstbestimmt und nicht mehr Opfer. Ich hatte einfach die Entscheidung für diese Umstände getroffen, auch wenn sie manchmal anstrengend waren und blieben. Mein Fokus veränderte sich unmerklich und ich nahm das, was ich vorher als Last empfand, wieder positiv wahr. Für mich veränderte sich dadurch alles, obwohl die Umstände die gleichen geblieben waren.

Wenn du also im Hamsterrad festsitzt und es keinen Ausweg zu geben scheint, beginne damit, bewusst durch deinen Tag zu gehen. Achte auf deine Gedanken und Gefühle. An wen hast du die Macht abgegeben? Wo fühlst du dich unfrei? Wem überlässt du das Steuer in diesen Momenten? Du könntest auch statt „ich muss“ oder statt „ich kann nicht“ sagen „ich will“ oder „ich will nicht“. Damit bleibt die Macht bei dir. Leider aber auch die Verantwortung. Es gibt dann keinen anderen mehr, dem du die Schuld dafür geben könntest.

Damit beginnst du, frei zu werden, dich für die Schritte auf deinem Weg zu entscheiden. In der Fremdbestimmtheit passiert das Gegenteil: Wir geben die Verantwortung ab an die Gesellschaft, die Erziehung, die Umwelt, vergangene Umstände, den Vorgesetzten, die menschliche Natur oder einfach die Erbanlagen. Die anderen sind dann Schuld und wir sind in der passiven Opferhaltung. Daraus entsteht das Gefühl der Unfreiheit.

Uns ist in der Regel in diesen Situationen nicht bewusst, dass wir unsere Realität durch verschiedene Filter sehen, die uns die volle Sicht versperren.

So gibt es z.B. gesellschaftliche Filter, d.h. das, was die Gesellschaft, in der wir aufwachsen, uns an Regeln, Überzeugungen und Werten lehrt, genauso gibt es die Filter des Elternhauses, der Kultur uva., die unsere Glaubenssätze, Vorstellungen und Überzeugungen prägen.

In der einen Kultur wird der dünne Menschentypus als Schönheitsideal bezeichnet, in der anderen Kultur der üppige Typus. Die einen bewerten Scheitern als Beweis für Risikofreude und Verantwortungsübernahme, die andern als Versagen. Ganz zu schweigen von den unzähligen Sätzen wie „das muss so“, „das geht nicht“, „das ist falsch und das ist richtig“, „das ist gut und das ist schlecht“ usw.

Es sind also vor allem wir selbst, die uns unfrei machen, durch unsere Glaubensmuster, Urteile und Überzeugungen. 

Wir schauen durch ein Raster und denken, es sei die objektive ganze Realität. Schön sagt das die bekannte Liedstrophe von Matthias Claudius:

„Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost verlachen,
weil unsre Augen sie nicht sehen.“

Aber nicht nur, dass wir die Realität nur beschränkt wahrnehmen, sondern unsere unbewussten Muster bestimmen auch unsere Vorstellungskraft und unsere Wünsche. Es wird im Laufe des Lebens immer schwieriger, zwischen unseren wahren Bedürfnissen und denen, die uns unsere konditionierten Muster einflüstern, zu unterscheiden. Was willst du wirklich, wirklich, wirklich? Eine Frage, die viele meiner Kunden nicht (mehr) beantworten konnten.

Inner game nennt das Selbst 1 und Selbst 2. Selbst 1 ist ein mentales Konstrukt, das auf verschiedenen Annahmen über uns selbst und die Welt basiert. Selbst 2 ist das natürliche Selbst mit all seinem Potenzial, das von Geburt an in uns angelegt ist.

Die Selbstkonzepte, also die Gedanken, die wir über uns haben, können unser eigentliches Wesen und Potenzial blockieren und verbiegen. Daraus entsteht dann unser Verhalten, was eine Folge von unseren Erfahrungen ist, die wir auf irgendeine Art und Weise bewertet haben. So wie der Elefant am Pflock (siehe Teil 1 der inner game Reihe) sich seiner (Bewegungs-)Freiheit beraubt, weil er aufgrund seiner Erfahrungen als Kind glaubt, dass es nicht möglich ist, den Pflock herauszuziehen. Gestern sah ich ein Video von einem Mann ohne Arme und Beine, der den Kilimanjaro bestiegen oder besser ‚bekrabbelt’ hat. Wenn er gelernt hätte „das geht nicht“, hätte er sich wohl nie diesen Traum ausgedacht.

Unsere Aufgabe ist es, die Qualitäten von Selbst 2 von diesem „verzerrten“ Verhalten bewusst zu unterscheiden, denn dann erst kann Selbst 2 seine volle Kraft entfalten. Damit werden wir unabhängig und erlangen Bewegungsfreiheit.

Der wichtigste Schritt besteht also darin, Selbst 1 und Selbst 2 auseinander halten zu können.

Was sind die Filter und was davon bin ich selbst? Nur durch das Erkennen von Selbst 2 erlangen wir wirkliches Selbst-bewusst-sein. Erst dort finden wir zur Selbsterkenntnis, zum „Ich bin“. Erst dadurch sind wir wirklich frei.

Wenn wir aus der Box des vorgegebenen Denkens ausbrechen könnten – was bliebe dann übrig? Was wären unsere wahren Ziele? Was wäre unser eigener, tiefer Wunsch, und welche Traumbilder würden aus diesen Wünschen entstehen? Wie sehr würden sie sich von unseren heuteigen Lebensentwürfen unterscheiden? Wohin würden wir gehen wollen, und wie wollten wir dorthin kommen?

Inner game hilft, Selbst 1 auszuschalten und Zugriff auf das Selbst 2 zu bekommen. Aus dem Selbst 2 heraus beantworten wir die o.g. Fragen ganz anders. Aus der Sicht von Selbst 2 bewerten wir auch das Hamsterrad ganz anders und sehen Möglichkeiten, die wir vorher entweder nicht sehen konnten oder uns unmöglich erschienen. Vielleicht verändern sich aber auch unsere Bedürfnisse derart, dass wir jetzt etwas ganz anderes wollen und wir Prioritäten anders setzen.

So beginnt deine Bewegungsfreiheit und eine neue Welt wird sich dir eröffnen!