inner-game-Reihe Teil 1: Warum unser Denken uns an der Potenzialentfaltung hindert oder warum du alles vergessen solltest, was du zu wissen glaubst

Wenn man große Athleten fragt, woran sie im Moment ihrer Bestleistung gedacht hätten, antworten sie unisono, sie hätten überhaupt nicht gedacht. Ihr Geist sei ruhig und fokussiert gewesen. Im Grunde kennst du dieses Gefühl: Du tauchst in einen Flow, es läuft wie von alleine, alle zu tätigen Schritte sind klar und du bist absolut präsent. Ob als Chirurg während einer Operation, als IT-Experte bei einer Programmierung, als Autor beim Schreiben oder als Koch bei der Zubereitung eines exzellenten Essens.

Das Beispiel Skifahren ist dafür ein wunderbares Übungsfeld: Diesen nicht-denkenden lebendigen Zustand, in dem wir uns ganz im Erleben des Augenblicks befinden, das ist rauschhaftes Skifahren. Aber es ist wie bei allen anderen Situationen im Alltag: Sobald wir darüber nachdenken, diesen Zustand aufrechtzuerhalten oder ihn herbeizuführen, geht er verloren. Der Rausch ist vorbei, der Kopf hat wieder das Kommando.

Ein Leistungssprung ist überhaupt nur dann möglich, wenn wir aufhören zu denken.

Die besondere Bedeutung dieser Erlebnisse ist, dass sie uns zeigen, was tatsächlich in uns steckt und was eigentlich möglich ist. Was hindert uns? Es ist unser Denken, geprägt von emotionalen Erfahrungen:

Lausch mal auf die Gedanken, die dir beim Skifahren durch den Kopf schießen: Anweisungen wie „Nimm die Stöcke nach vorne!“ „Halte den Oberkörper aufrecht!“ „Beug die Knie!“ aber auch Selbstzweifel und Ängste wie „Oh Gott, jetzt gucken die aus dem Sessellift alle zu!“ „Wie sehe ich bloß aus?“ „Ich kann das nicht!“ „Ich habe dafür eben einfach keine Begabung“ „Die anderen sind viel besser als ich“ und dann die wütende Projektion „Skifahren war noch nie mein Ding und der Skilehrer geht mir mit seinem Gehabe sowieso auch total auf die Nerven!!!!“

Übertrag dieses Beispiel auf all deine Tätigkeiten in Beruf und Freizeit und den Umgang mit deinem Partner

Wenn du in Gedanken mal einen Schritt zurück trittst und dieses endlose Geplapper wahrnimmst: Wer spricht da eigentlich mit wem? Du könntest sagen: „Nun, ich rede halt mit mir selbst.“ Doch wer ist „ich“, und wer ist „selbst“? Die beiden müssen verschieden sein, sonst würden sie sich nicht miteinander unterhalten können. Du stellst also fest: „Ich bin zu zweit!““

Gäbe es nur eine Stimme, braucht niemand etwas zu sagen, weil derjenige, der zuhört, ja schon weiß, was gesagt wird. Deshalb erleben wir innere Ruhe und Frieden, wenn wir ganz eins sind mit uns selbst: Es gibt keinen inneren Dialog.

inner game als Coaching-Ansatz kann hier helfen

inner game basiert auf der Erkenntnis, dass sich unser „inneres Spiel“, also die Vorgänge in unserem Inneren, erheblich auf unser „äußeres Spiel“, unsere Handlungen, auswirkt und dieses im Positiven wie im Negativen beeinflusst. Im Mittelpunkt steht die Auflösung alter Konditionierungen, Glaubenssätze und Einstellungen, die einen freien Umgang mit unseren Bewegungsmöglichkeiten (im Körper und im Kopf) behindern.

Alles in einer Geschichte: Der Elefant am Pflock

Wie man die Tatsache, dass wir uns selbst in unserem Potenzial mit unseren unbewussten Mustern beschränken, eigentlich viel besser zum Ausdruck bringen kann, zeigt diese einfache Geschichte:

„Als ich ein kleiner Junge war, war ich vollkommen vom Zirkus fasziniert. Am meisten gefielen mir die Tiere. Vor allem der Elefant hatte es mir angetan. Während der Zirkusvorstellung stellte das riesige Tier sein ungeheures Gewicht, seine eindrucksvolle Größe und seine Kraft zur Schau. Nach der Vorstellung aber und auch in der Zeit bis kurz vor seinem Auftritt blieb der Elefant immer am Fuß an einem kleinen Pflock angekettet. Der Pflock war allerdings nichts weiter als ein winziges Stück Holz, das kaum ein paar Zentimeter tief in der Erde steckte. Und obwohl die Kette mächtig und schwer war, stand für mich ganz außer Zweifel, dass ein Tier, das die Kraft hatte, einen Baum mit samt der Wurzel auszureißen, sich mit Leichtigkeit von einem solchen Pflock befreien und fliehen konnte.
Doch was hält ihn zurück? Warum macht er sich nicht auf und davon? Dieses Rätsel hat mich bis ins Erwachsenenalter beschäftigt – bis ich schließlich auf einen weisen Menschen traf, der mir folgende überzeugende Antwort gab: Der Zirkuselefant flieht nicht, weil er schon seit frühester Kindheit an einen solchen Pflock gekettet ist.
Ich schloss die Augen und stellte mir den wehrlosen neugeborenen Elefanten am Pflock vor.
Ich war mir sicher, dass er in diesem Moment schubst, zieht und schwitzt und sich zu befreien versucht. Und trotz aller Anstrengung gelingt es ihm nicht, weil dieser Pflock für ihn zu fest in der Erde steckt. Ich stellte mir vor, dass er erschöpft einschläft und es am nächsten Tag gleich wieder probiert, und am nächsten Tag wieder, und am nächsten Tag noch einmal. Bis eines Tages, eines für seine Zukunft verhängnisvollen Tages, das Tier seine Ohnmacht akzeptiert und sich in sein Schicksal fügt. Dieser riesige, mächtige Elefant, den wir aus dem Zirkus kennen, flieht nicht, weil der Ärmste glaubt, dass er es nicht kann. All zu tief hat sich ihm die Erinnerung daran, wie ohnmächtig er sich als Elefantenkind gefühlt hat, in sein Gedächtnis eingebrannt. Und das Schlimme dabei ist, dass er diese Erinnerung nie wieder ernsthaft hinterfragt hat. Nie wieder hat er versucht, seine Kraft auf die Probe zu stellen.

(Jorge Bucay)