inner-game-Reihe Teil 2: Wie gehen wir mit Unwägbarkeiten um?

Plötzlich bricht etwas Unerwartetes über dich hinein, etwas, auf dass du nicht vorbereitet warst. Kennst du das? Dein Partner trennt sich, dir wird gekündigt, dein Geschäftspartner steigt plötzlich aus, ein Investor springt ab, eine Krankheit, die alles verändert, ein Unfall oder – etwas weniger dramatisch – kurz vor der Präsentation stürzt der Computer komplett ab, dein Kind ist morgens krank oder der Zug, in dem du auf dem Weg zu einem Termin sitzt, bleibt auf unbestimmte Zeit stehen.

Was alle diese Situationen gemein haben ist,

  1. dass sie unerwartet eintreten und
  2. dass du sie nicht ändern kannst.

Es sind die Unwägbarkeiten des Lebens, die jederzeit auf uns lauern. Ich durfte diese Erfahrung 2008 machen. Zum einen durch die völlig überraschende Frühgeburt meines Sohnes. Dabei hatte ich mich doch an alle Vorgaben und Vorsorgen gehalten! Zum anderen legte ich mein Erspartes bei der US-Bank Lehman Brothers an, um drei Tage später von deren Pleite in der Zeitung zu lesen! Und auch da hatte ich mich gut beraten lassen und sämtliche Eventualitäten durchgespielt.

Damals wurde mir klar, wie viel Anstrengung wir als Individuen und auch als Unternehmen darauf verwenden, die Kontrolle über alles zu behalten, um am Ende feststellen zu müssen, dass wir es dann doch nicht wirklich im Griff haben. Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass wir keine Vorsorge betreiben sollen. Ich behaupte nur, dass wir sie an der falschen Stelle machen oder besser ausgedrückt an der entscheidenden Stelle NICHT machen.

Go with the flow

An einem Tag in meinem Jahr 2008 beobachtete ich eines Tages einen Baum. Er hatte mit starken Wind zu kämpfen. Oder besser: Er kämpfte eben gerade nicht, sondern ging einfach mit dem Wind mit. Kam der Wind von rechts beugte er sich mit dem Wind nach links und umgekehrt.

Der Baum verliert keine Energie damit, in den Widerstand zu gehen, sich gegen den Wind zu stellen. Er bemüht sich nicht, das Außen kontrollieren zu wollen. Er nimmt es, wie es kommt, Jahreszeiten, Stürme – er verliert seine Blätter und bei einem starken Sturm sogar ganze Äste. Aber er kann dem voller Vertrauen begegnen, solange er seine Wurzeln fest verankert hat. Darauf konzentriert er seine Energie statt in dem hoffnungslosen Unterfangen, das Außen im Griff zu haben.

So ist er für jede Unwägbarkeit, für jede Veränderung von Außen bestens präpariert.

Mir wurde in diesem Moment klar, dass ich – wie die meisten anderen Menschen auch – eigentlich überwiegend die Zeit in meinem Leben damit verbrachte hatte, mich um meine schönen Äste, Knospen und Früchte zu kümmern und sie gegen die Stürme und Winde zu verteidigen, statt die Energie auf meine Wurzeln zu legen. Kam ein Wind, war ich in den Widerstand gegangen und habe ihm erfolgreich trotzen können. Als der Sturm kam, war ich einfach umgefallen, weil die Wurzeln zu schwach waren.

Aber wie läßt sich das Bild der Wurzeln auf Individuen oder Unternehmen übertragen? Was ist damit gemeint? Einer meiner Lieblingsautoren im Bereich der Führungskräfteentwicklung, Stephen Covey, hat das auf den Punkt gebracht:

„Menschen können Veränderung nur leben, wenn sie einen unveränderbaren Kern in sich tragen. Der Schlüssel für Veränderungsfähigkeit ist ein sicheres Gefühl darüber, wer du bist, was du bist und welchen Wert du hast.“

Vertrauen statt Kontrolle

Der Mensch ist nur bereit für Veränderungen, wenn er sich sicher fühlt. (Ganz wichtig ist das übrigens bei der Durchführung von Veränderungsprozessen in Unternehmen!)  Die Welt heute wird aber immer komplexer und schnelllebiger und damit kaum noch kalkulierbar. Wenn wir die Sicherheit im Außen also nicht bekommen, müssen wir sie in uns selbst finden.

Hier setzt die Methode inner game an. Sie wechselt die Perspektive: Statt auf das Außen zu schauen, wird der Fokus auf das Innere gerichtet. Dadurch kommen ganz neue Potenziale zum Vorschein. Beim Skifahren kann dieser Effekt gut geübt werden. Wenn du deine Aufmerksamkeit nach innen richtest, bewusst deinen Körper wahrnimmst oder dich z.B. einmal nur auf das Geräusch des sich verändernden Schnees unter den Skiern konzentrierst, verlieren die Buckel, die Eisplatte, die Steilheit o.ä. auf einmal seinen Schrecken. Der Körper ist entspannter und kann von alleine ganz anders reagieren. Was vorher Anstrengung, Anspannung und Angst bedeutete, wird auf einmal zu einem neuen Erleben von Spiel und Leichtigkeit. Dieses Phänomen lässt sich auf alle Bereiche übertragen.

Auf diese Weise entwickeln wir eine gänzlich andere Haltung, die dieses englische Akronym schön zum Ausdruck bringt: FEAR = feeling excited and ready.

Nur in dem wir uns selbst bewusst sind, finden wir das Selbst-Bewusst-Sein, mutig voran zu gehen. Sich selbst bewusst sein heißt, die eigenen Glaubensmuster, Überzeugungen und Verhaltensweisen zu erkennen, die wir uns aufgrund von Erfahrungen angeeignet haben.

Wenn dich eine Unwägbarkeit doch einmal aus dem Sattel holen sollte, findest du dazu übrigens meine 5-Schritte-Übung auf der Startseite, die du kostenlos für die Anmeldung bei meinem Blog bekommst.

 

Bonus: Eine Wahrnehmungsübung

Wie gehst du mit Stürmen, Jahreszeiten oder Mauern um, die dir plötzlich im Weg stehen?

Erinnere dich an eine Situationen in deinem beruflichen oder privaten Umfeld, in denen du mit einer Veränderung konfrontiert wurdest, die von außen – das heißt nicht von dir selbst initiiert – geschehen ist (z.B. Trennung des Partners, Kündigung, schlechtes Wetter bei einer Gartenparty, Strukturveränderungen bei der Arbeit etc.).

  • Wie hast du reagiert? Widerstand oder Annahme?
  • Welche Emotionen hat der Widerstand in dir ausgelöst?
  • Worauf hast du bei den Veränderungen deine Energie verwandt – in deine Wurzeln oder in den Kampf gegen den Wind?
  • Wärst du ein Baum gewesen, wie hättest du dann reagiert und was wäre dann anders gewesen?
  • Hast du die ‚rauhen Zeiten’ ähnlich wie der Baum im Winter genutzt? D.h. bist du in den Stillstand und Rückzug gegangen und hast – für keinen sichtbar und trotzdem da – das Potenzial für neue Knospen angelegt? Oder bist du in den Kampf, sprich in die Hyperaktivität, die Ausweichstrategien, die Ablenkung, die Verleugnung („ist doch gar nicht so schlimm“) usw. gegangen?