Zukunft und Liebe
Sie fragen, was hat das Eine mit dem Anderen zu tun?
Ich gehörte zu denen, die ihr Geld bei der amerikanischen Investmentbank Lehmann Brothers angelegt hatten. Drei Tage später las ich auf dem Weg zur Straßenbahn beim Vorbeigehen den Titel auf einer Zeitung: „Lehmann Brothers pleite“. –
Es war weniger der Verlust des Geldes, der mich erschüttert hatte, sondern vielmehr, dass mein Weltbild ins Wanken geraten war. Eine so große Bank insolvent? Das war mir unvorstellbar! Wenn das nicht mehr sicher war, was war es in Zukunft dann? Sicher, so schien es mir, ist nur noch, dass es keine Sicherheit mehr gibt.
Der Fall zeigt für mich exemplarisch den tiefgreifenden Wandel, den wir zur Zeit erleben. Unternehmen sind davon stark betroffen. Wie begegnen sie den Herausforderungen der Zukunft? Der Unsicherheit, der steigenden Komplexität, dem Tempo und dem daraus resultierendem Druck?
Stress, Burn-Out, verminderte Leistungsfähigkeit und Widerstände gegenüber Veränderungen bestimmen das Arbeitsleben. Dabei fordert die Zukunft das Gegenteil: Kreativität, Innovationsfähigkeit, Flexibilität usw.
Ich glaube daher, dass ein Wechsel der Führungsphilosophie notwendig ist: Statt Mitarbeiter als Ressourcen zu nutzen, benötigt es eine Kultur der Potenzialentfaltung. Aber wie geht das?
Einen Menschen in sein Potenzial zu bringen, ist die Hauptaufgabe eines Trainers, aber auch Eltern, Lehrer und eben auch Führungskräfte haben die gleiche Aufgabe, zumindest wenn sie ihren Job gut machen wollen. Die Voraussetzung für diese Aufgabe ist, seinen ‚Zögling‘ in seinem Kern zu erkennen. Es gilt, zu sehen, was er für ein Mensch ist. Und in vielen Fällen braucht es einen Röntgenblick, weil der Schatz, den es zu heben gilt, nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist.
So war das empathische Beobachten ihrer Tänzer das maßgebliche Arbeitsmittel der Choreographin Pina Bausch. Die Tänzerin Nazareth Panadero sagt in dem Film „Pina“: „Die Augen von Pina sind da, um alles Schöne, was wir machen, zu nehmen und um etwas noch Schöneres daraus zu machen.“
Um einen Menschen mit solchen Augen betrachten zu können, braucht es Liebe. So gibt es in der Sprache der Ureinwohner in dem Film „Avatar“ nicht den Satz „Ich liebe Dich“. Stattdessen sagen sie „Ich sehe Dich“. Jemanden zu sehen, heißt also, ihn zu lieben.
Deswegen sage ich auch in meiner Funktion als Unternehmensberaterin: „Es braucht Liebe, um eine Kultur der Potenzialentfaltung in einem Unternehmen etablieren zu können.“
Die von mir genutzte Führungsphilosophie Higher Ground Leadership® setzt genau hier an. Statt die Mitarbeiter zu motivieren, dem Motiv, d.h. dem Wunsch der Führungskraft zu folgen, wird die Sichtweise umgedreht: Die Führungskraft hat die Aufgabe, die Mitarbeiter zu inspirieren. Inspirieren kommt von dem lateinischen Verb ‚spirare‘, was Geist atmen, Leben geben bedeutet. In dem deutschen Verb ‚begeistern‘ haben wir immer noch einen Eindruck davon. Dies entspricht der Idee des Servant Leadership: die Führungskraft, die dem Mitarbeiter dient, sein individuelles Potenzial zu entfalten.
Johann Wolfgang von Goethe findet wunderbare Worte dafür:
„Wenn wir, sagtest du, die Menschen nur nehmen, wie sie sind, so machen wir sie schlechter. Wenn wir sie behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.“
Quelle: Wilhelm Meisters Lehrjahre VIII, 4
Hinterlasse ein Kommentar